Grüne Wiesen, saftige Gräser und viel Auslauf – viele Hühner können davon bestenfalls nur träumen. Mit seinem mobilen Hühnerstall zeigt Wolfgang Wallner aus Moosdorf im Innviertel, wie Bauern nicht nur Hühner, sondern auch Boden und Menschen glücklich machen können.

Ein Stall steht an einem bestimmten Ort. Das war schon immer so. In Moosdorf, einem verträumten Ort im äußersten Zipfel des Innviertels, ist das anders: Hier bewegen sich die Ställe. Wie fast jeden Tag geht Wolfgang Wallner auch heute über die Wiese hinüber zu seiner Hühnerherde. Schon staksen ihm die Hennen entgegen. „Na, Mädels“, sagt er und streicht ihnen liebevoll übers rotbraun glänzende Gefieder. Wohlgenährt und zutraulich picken sie friedlich nach dem nächsten Grashalm. „Die Hühner müssen sich wohlfühlen“, sagt der Innviertler, 52 Jahre und Vorreiter in seinem Fach. Sein Fach, das sind die Wanderhühner oder Wandereier. Je nachdem, wie man die ewige Frage beantwortet: „Was war zuerst: Huhn oder Ei?“

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Die Vorfahren der mehr als 150 Hühnerrassen von heute stammen von den Bankivahühnern Indonesiens und Indiens ab, die vor rund 4000 Jahren gezähmt wurden.

FRISCHE WIESEN, TIERE STREICHELN
Alle 8 bis 12 Tage versetzt Wallner seine mobilen Ställe mitsamt der Hühnerschaft. Nach dieser Zeit ist nämlich einige Meter um den Stall herum nicht mehr viel da. „Die picken alles weg“, sagt Wallner. Und das kommt so: „Die Henne bleibt immer beim Stall, selbst bei viel Auslauf.“ Durch das regelmäßige Versetzen des Stalles haben die Hennen immer wieder eine frische Wiese und neue Gräser. Gleichzeitig kann sich der Boden regenerieren und wird nicht durch zu viel Hühnermist übersäuert, der so wohldosiert als natürlicher Dünger wirkt. Noch einen Vorteil hat die mobile Freilandhaltung. „Die Hühner sind ruhiger und zufriedener“, sagt Wallner.
Und das schmeckt man, ist sich der dreifache Familienvater sicher. „Meine Frau ist überzeugt, das ist ein Ei für richtige Genießer, für einen feinen Gaumen“, sagt Wallner und spricht nicht nur von der dunkleren Dotterfarbe, die das Wanderhuhnei durch das zusätzliche Grünfutter annimmt. Die besondere Bindung zur Herde und der persönliche Kontakt machen es aus.
„Die Hühner spüren, wie du mit ihnen umgehst“, sagt er und nennt sich selbst schmunzelnd „Hühnerflüsterer“. Deshalb gibt es auch einen klaren Auftrag an die 7 Mitarbeiter: Mit den Hühnern gackern und die Tiere streicheln.

WELLNESS-BEREICH FÜR HÜHNER
Die Idee zum Wanderei kommt ursprünglich aus Deutschland, perfektioniert wurde sie aber im Innviertel: Vor 3 Jahren stand Wallner am örtlichen Sportlerball mit einem Jungbauern an einer Bar. Sie kamen auf den Eierpreis zu sprechen, mit dem sich Wallner als Nudelproduzent – „vor 21 Jahren habe ich mir das Nudelmachen selbst beigebracht“ – bestens auskennt. Der Jungbauer erzählte von einem mobilen Stall, den er sich kaufen wollte, um dort seine Hennen zu halten. Wallner war begeistert, begann sofort sich nach Betrieben umzusehen, mit Experten zu sprechen und an Konstruktionsplänen zu tüfteln. „Ich wollte das gleich von Anfang an auf professionelle Beine stellen“, erklärt Wallner, der später mit Investoren die Wanderhuhn GmbH gegründet hat.
„Ich habe das Rad nicht neu erfunden“, sagt er, „aber viele Verbesserungen vorgenommen.“ Das Ergebnis ist eine ausgetüftelte Stallkonstruktion: 17 Meter lang und 9 Meter breit, von heimischen Firmen aus der Region hergestellt und mit Sitz- und Schlafstangen sowie Legenestern mit Dinkelspelzen ausgestattet. Eine speziell angefertigte Futterschnecke befördert die natürliche Futtermischung direkt zu den Hühnern, und über eine Hühnerleiter gelangen die Wanderhühner in den „Wellness-Bereich“, wie Wallner die kleinen um den Stall herumstehenden, mit Sand ausgelegten Holzwägen nennt. Immer wieder klettert eine Henne auf den Wellness-Wagen und kuschelt sich in den Sand. Dem Hühnerflüsterer geht es um den „Freiraum für die Hühner“ und eine „artgerechte Tierhaltung“. Eine Herde zählt bei ihm 1.200 Hennen, die auf einer Fläche von 1,25 Hektar nach Lust und Laune picken können. „Sie sollen so leben, wie es natürlich ist“, sagt Wallner.
Dazu gehört auch eine Portion Testosteron. Pro Stall gibt es 50 Gockel, was selbst in der Freilandhaltung nicht üblich ist. Die Gockel kosten zwar viel, passen dafür aber auf die Herde auf, melden verlässlich Gefahren, warnen vor Füchsen und Habichten. Und die Hähne werden auch als Mediatoren tätig, sagt Wallner: „Wenn die Hennen untereinander streiten – was ja vorkommen soll bei Frauen –, geht der Gockel dazwischen.“ So „betreut“ ein Gockel etwa 15 bis 20 Hennen. „Er ist also fast monogam“, lacht Wallner.

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DER HÜHNERFLÜSTERER: Wolfgang Wallner im selbstentworfenen mobilen Hühnerstall, der sich harmonisch in die Landschaft fügt – und auch Platz für Gockel bietet, damit die Hennen glücklich sind.

GLÜCKLICHE HÜHNER, WENIGER ARBEIT
Die gute Haltung wirkt sich positiv auf die Lebenserwartung der Tiere aus. Laut Wallner werden seine Wanderhühner im Schnitt 4 bis 6 Monate älter als herkömmliche Freilandhühner. Und der Arbeitsaufwand verringert sich: Wallner rechnet mit etwa 2 Stunden pro Tag für eine Herde. Die Herde bekommt täglich frisches Wasser, einmal pro Woche wird Futter nachgefüllt und ausgemistet. Die Eier werden jeden Tag per Hand abgenommen. Dafür setzen sich Wallner oder eine seiner Mitarbeiterinnen auf ein aus zwei Holzbrettern bestehendes Fahrgestell, das quer über den Stallgang gelegt wird. Dann fahren sie mit einer gitterartigen Schaufel vorsichtig in die Legenester und fischen ein Ei nach dem anderen heraus. Die Hennen beobachten das Ganze recht unaufgeregt. Manchmal setzt sich sogar eine Henne bei der Eiabnahme auf die Schulter des „Hühnerflüsterers“. „Das ist einfach wunderschön“, sagt Wallner.
Nach der Abnahme kommen die Eier in eine Packstelle, werden gestempelt und gewogen, sortiert und verpackt. Von dort geht es für sie entweder als „Spar Premium“-Marke in die Supermarktregale, oder sie gelangen als „Wiesen- und Kräutereier“ in den lokalen Handel. Die größeren Eier nutzt Wallner für die Nudelproduktion.
Mittlerweile hat sich die Idee auch unter den Bauern herumgesprochen: 2 Vertragslandwirte arbeiten bereits am Projekt „Wanderhuhn“ mit. Neben Abnahme- und Preisgarantien wird auch Wallners Know-how an sie weitergegeben – eine Art Franchise. „Die Landwirte sollen für die Arbeit, die sie leisten, gerecht entlohnt werden. Sie pflegen ja auch den Lebensraum“, sagt Wallner. Und: „Die Landwirte sind motiviert mitzumachen. Sie sehen eine Zukunft darin.“
Doch das war nicht immer so. Als die ersten 2 Ställe im September 2014 fertig waren,
„brodelte die Gerüchteküche am Stammtisch“, sagt Wallner. Als die ersten 2 Stallungen mit je 1.200 Wanderhühnern an der Ortseinfahrt aufgestellt wurden, „hat es Wirbel gegeben“. Die Leute hatten Angst vor Geruchs- und Lärmbelästigung. Am Ende stellte sich heraus: alles halb so schlimm.
Ganz im Gegenteil: Es läuft gut. Jeden Monat kommt ein neuer Stall dazu, im Jänner wurde der 10. installiert. „Wir wollen in jedem Bundesland Landwirte gewinnen. Damit man nah am Konsumenten ist“, sagt Wallner. „Die Leute schauen immer mehr darauf, wo die Sachen herkommen. Wir wollen den umweltbewussten Kunden ansprechen, der transparent und nachhaltig einkaufen möchte – und bei den Produzenten ein Umdenken bewirken.“

MARKT EROBERN, HENNEN ZÜCHTEN
Als Ziel hat sich Wallners Wanderhuhn GmbH einen fünf- bis zehnprozentigen Marktanteil am Freiland- und Biomarkt gesetzt. Dafür wären etwa 85 Stallungen nötig. Doch bis der Innviertler mit seinen Wanderhuhneiern den Biomarkt erobern kann, muss sich der Boden erst vollständig regenerieren. Auch mit den Hennen selbst hat Wallner noch einiges vor. Derzeit kommen die Junghennen mit 17 bis 18 Wochen von einem Aufzuchtbetrieb auf die Wiese. Da geht es dann anfangs noch recht hektisch zu: Die jungen Wanderhennen gackern, was das Zeug hält, sehen sie doch zum ersten Mal das Tageslicht. „Das ist ein Manko“, sagt Wallner. Spätestens nächstes Jahr soll sich das ändern: „Wir wollen die Hennen bei uns aufziehen.“
Bis dahin muss Wallner jedoch noch einige Auflagen erfüllen, wie etwa den Einbau einer Bodenheizung. Außerdem werden in den nächsten Monaten auch alle Grünflächen, auf denen die wandernden Hühner picken, mit Sträuchern bestückt. Damit es Wallners „Mädels“ gut haben – und die Gockel natürlich auch.

Zur Sache:
4000 JAHRE HUHN
Die Vorfahren der mehr als 150 Hühnerrassen von heute stammen von den Bankivahühnern Indonesiens und Indiens ab, die vor rund 4000 Jahren gezähmt wurden.
Das Wanderhuhn selbst ist keine eigene Rasse, sondern eine besondere Form der Haltung.
www.wanderhuhn.at

EIERLAND ÖSTERREICH
In Österreich werden pro Jahr um die 1,8 Milliarden Eier verspeist – das sind etwa 230 Eier pro Person und etwas weniger, als ein Huhn pro Jahr legen kann: 280.
66 Prozent stammen aus Boden-, 21 % aus Freilandhaltung. Jede 13. Henne ist „bio“.
Quelle: Unser Land 2016
Text: Hannah Stadlober, Fotos: Markus Kucera